Kleine Heimat meines Vaters (Ма́лая Ро́дина моего́ па́пы)

Veröffentlicht am 7. November 2023 um 22:21

Wenn ich jetzt daran denke, wie weit diese kleine provinzielle Stadt von Moskau entfernt ist, kann ich es selbst kaum glauben. Wenn man die beiden Orte mit einer geraden Linie verbinden könnte, hätte selbst diese eine Länge von circa 5000 Kilometern! Die Stadt heißt Schilka (Ши́лка). Mein Papa wurde dort geboren.

 

Als er dann 7 Jahre alt war, sind meine Großeltern in eine andere Ortschaft, ein großes Dorf namens Rasmachnino (Размахнино́) (und später noch in ein weiteres Städtchen, Perwomaiskij (Первома́йский), wo auch ich oft zu Besuch war und sogar zeitweilig wohnte), umgezogen. In Schilka blieben aber sowohl die Eltern und die Geschwister meiner Oma als auch die Angehörigen meines Opas, deshalb besuchten sie die Stadt auch nach dem Umzug immer und immer wieder. Als Kind war auch ich mehrmals dort, meistens bei der Tante meines Vaters. Auch heute noch wohnen in Schilka seine Cousinen und anderen Verwandten.

 

  • роди́тели - Eltern

 

Warum es in der Stadt (wie überall in Russland) so viele Denkmale gibt, die dem Großen Vaterländischen Krieg gewidmet sind, was für eine Rolle sie für die echt russische Seele spielen, welche Emotionen sie bei uns auslösen… Das kann man vielleicht nur verstehen, wenn man selbst echter Russe ist beziehungsweise eine russische Seele hat. Das möchte ich noch gerne in einem meiner weiteren Beiträge ausführlicher thematisieren. Ich werde wie immer nur darüber schreiben, was ich persönlich von meinen eigenen Großeltern (die diesen Schrecken zum Glück überlebt hatten) hörte, nicht über etwas aus dem Fernsehen oder dem Internet.

 

Besonders interessant finde ich in Schilka die alte Weizen-Mühle, die mein Ururgroßvater in den 30-er Jahren, einer ziemlich schwierigen Zeit für Russland (sowie für viele andere Länder auf der Welt), eigenhändig aus Steinen (nicht aus Backsteinen!) gebaut hat. Dieses Baumaterial war und ist ganz und gar nicht typisch russisch. Ein Bekannter sagte zu meinem Vater, das sei eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der kleinen Stadt. Die Einheimischen wollten sogar, dass ein Heimatmuseum in der alten Mühle eingerichtet wird, aber die Stadtregierung hat die Idee abgelehnt, da eine der Wände des Gebäudes sich momentan im kritischen Zustand befindet.

 

Alle Bilder und Videos hat mein Vater im August dieses Jahres (2023) gemacht. Er machte eine Kur in der Gegend und besuchte in Schilka und in anderen Orten (Perwomaiskij, Rasmachnino) seine Angehörigen und Freunde sowie die Gräber derjenigen Familienmitglieder, die nicht mehr leben.

 

In seinem Alter kann also mein lieber Papa so eine Reise machen! Meine Mama ist ebenfalls sehr mobil und reist sehr oft und sehr gerne herum. Ich bewundere die beiden aufrichtig.

 

Die nächste, relativ große Stadt, wo sich unter anderem der Flughafen befindet, heißt Tschita (Чита́). In der Nähe von Tschita wohnt ein Ehepaar, gute Freunde meines Vaters. Sie waren einst alle drei in derselben Schulklasse und sind immer noch befreundet, trotz der riesengroßen Entfernung und einer langen Zeit, die seit ihren Schultagen vergangen ist. Mein Vater hat sie selbstverständlich auch diesmal besucht. Sein Freund hat ihn eigentlich sogar mit dem Auto am Flughafen abgeholt und dann zum Flughafen wieder gefahren. Mein Vater hat eine schöne Zeit mit ihnen, ihren Kindern und Enkelkindern sowie mit anderen gemeinsamen Bekannten verbracht. Ich kenne diese Familie natürlich auch, als Kind habe ich manchmal mit ihrem Sohn gespielt. Meine Mama bleibt ebenfalls mit diesen guten Freunden in Kontakt und telefoniert mit den beiden hin und wieder.

 

Vielleicht fragt man sich, ob sich die Mentalitäten sowie die Menschen im Nordwesten und Südosten von Russland unterscheiden? Es gibt definitiv bestimmte Unterschiede, weswegen meine Eltern am Anfang und auch später noch einige Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten hatten. Sprachlich gibt es natürlich auch regionale Besonderheiten – einzelne Wörter sowie Redewendungen. Darüber hinaus spricht man im Südosten mit einer eigentümlichen Satzmelodie, die ich immer noch gleich erkennen kann.

 

Von Moskau nach Tschita ist mein Vater mit dem Flugzeug geflogen, auf dem Hinweg musste er in Jekaterinburg (Екатеринбýрг) auf einen anderen Flugumsteigen. Der Rückflug war direkt und dauerte ca. 6,5 Stunden.

 

Die Zeitverschiebung zwischen Tschita und Moskau beträgt 6 Stunden. Das neue Jahr beginnt also bei meinen Verwandten väterlicherseits immer 6 Stunden früher. In unserer Familie haben wir deshalb eine interessante Tradition: Am 31. Dezember haben wir Um 18:00 Uhr Moskauer Zeit eine ganz kurze Feier. Wir stoßen einfach an und haben eine kleine Brotzeit – gleichzeitig mit denjenigen, die in diesem Moment schon das nächste Jahr begrüßen. Die echte Feier fängt dann bei uns später an, so um 11 Uhr. Zuerst sagt man danke und tschüs zum verflossenen Jahr, dann begrüßt man voller Hoffnung das neue.

 

STADTINFO:

Schilka wurde 1897 gegründet und hat ca. 12 490 Einwohner. Tschita gibt es seit 1653. Dort leben ca. 333 680 Menschen.

 

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