Ruhestätte (Клáдбище)

Veröffentlicht am 5. Juli 2024 um 21:15

Als ich zum ersten Mal als Touristin in Deutschland war und ein Schild in der Nähe meines Hotels gesehen habe, das den Weg zum Friedhof zeigte, wollte ich wissen, wie die letzte Ruhestätte des Menschen in diesem Land aussieht. Auf einem Friedhof kann man Einiges über eine andere Kultur erfahren. Vielleicht würde jemand ebenso interessant finden, welche Verbindung wir, die Russen, mit den geliebten Menschen haben, die nicht mehr auf der Erde leben. Da kann ich Ihnen etwas aus meiner eigenen Erfahrung sehr gerne erzählen.

 

Gedenken an Verstorbene ist ein wichtiger Teil der russischen Kultur. Das macht man an ihren Geburts- und Todestagen sowie am zweiten Dienstag nach Ostern (Radonitza – Рáдоница) oder in einigen Regionen auch an Pfingsten. Zu Hause kann man mit Tee und Pfannkuchen oder auch während der Mahlzeit der nicht mehr Lebenden gedenken. Diejenigen, für die Alkohol infrage kommt, können auch etwas Alkohol trinken. Man tut das, ohne anzustoßen. Am besten ist es natürlich, wenn man sich im Familienkreis an die lieben Verstorbenen erinnern kann.

 

  • блин - Pfannkuchen

 

Wenn ich zu meinen Eltern, meinen Verwandten oder engen Freunden unserer Familie (sie wohnen in verschiedenen Städten und Ortschaften Russlands) zu Besuch komme, fragt man in der Regel gar nicht, ob ich auch die Gräber der lieben Heimgegangenen besuchen möchte. Das versteht sich ganz von selbst, dass wir uns unbedingt die Zeit nehmen sollen, um auf den Friedhof zu gehen (auch wenn mein Besuch ganz kurz ist).

 

Auch Kinder, zumindest in meiner Familie, werden so erzogen. Der 6-jähriger Sohn einer meiner Cousinen weiß beispielsweise ganz genau, dass es bestimmte Tage im Jahr gibt, an denen er zusammen mit seiner Mama und Oma ans Grab seines Opas fährt, obwohl er seinen Großvater leider gar nicht kannte.

 

Die trauernden Angehörigen, die ewigen Abschied von einem Familienmitglied nehmen müssen, wollen auf eine besondere Art und Weise ihre Liebe zum Ausdruck bringen. Deshalb lassen viele von ihnen schöne Porträts der Verstorbenen sowie emotionale Sprüche und Gedichte auf die Grabsteine schnitzen. Auf dem Grabstein meines Onkels sind zwei Ziffern – 88 – zu sehen. Was wollten seine Kinder und seine verwitwete Ehefrau damit sagen? Ganz einfach. Mein Onkel war Funker, und in der Sprache der Funker bedeutet diese Zahl «Liebe».

 

Auf unseren Friedhöfen gibt es oft Bäume und Büsche, die Gräber der einzelnen Familien sind mit Zäunen umgeben. Auf die Gräber bringt man Kränze, echte Blumen sowie Kunstblumen. Man legt auf die Gräber beziehungsweise auf die kleinen Tische daneben Bonbons, Pralinen und Kekse oder man schüttet Getreide darauf. Dann, wenn die Besucher schon wieder weg sind, fliegen die Vögel an, bedienen sich, und der Verstorbenen wird nochmal gedenkt. Das ist eine alte russische Tradition.

 

Wenn man Blumen mitbringt, soll man sie nur in gerader Zahl ans Grab legen!

 

Den Lebenden schenkt man dagegen eine ungerade Anzahl Blumen.

 

ROTE ROSEN

Da mein verstorbener Ehemann Plastikblumen hasste, bringe ich ihm immer nur zwei rote Rosen mit.

Die Bilder von den Gräbern meiner nicht mehr lebenden Angehörigen (außer den roten Rosen) möchte ich hier nicht zeigen. Alle Fotos habe ich eigenhändig am Rande einer kleinen russischen Stadt Wiasma, auf zwei verschiedenen Friedhöfen in Smolensk und auf dem Friedhof bei Nowgorod gemacht. Diese Menschen kannte ich nicht, die Namen habe ich absichtlich verwischt.

 

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